„Hurra, das ganze Dorf ist da!“ Dieser Schlachtruf dürfte im Jahr 2008 so manchem Fußballromantiker die Zornesröte ins Gesicht getrieben haben. Ein gewisser „Dorfverein“ aus dem Rhein-Neckar-Kreis, der sich der finanziellen Gunst eines namhaften deutschen Softwareherstellers erfreute, mischte damals die Bundesliga auf. Professioneller Fußball aus der Provinz könne nur aus der Retorte heraus funktionieren. Dass dies auch anders geht, belegt das Beispiel eines Vereins aus dem Emsland, der 1995 vernehmlich am Tor zur Bundesliga geklopft hatte.

Unweit der deutsch-niederländischen Grenze, umgeben von Mooren, Wiesen und Feldern, liegt am Zusammenfluss von Hase und Ems die 35.000 Einwohner zählende Kreisstadt Meppen. Die Ems, jener 371 Kilometer lange Fluss, der dem Westfälischen entspringt und sich nahe Emden in die Nordsee ergießt, sollte schließlich auch die Namensgeberin des ersten lokalen Fußballklubs werden.

Im November 1912 hatten einige Meppener Gymnasiasten einen Fußballklub gegründet, der in guter alter humanistischer Tradition einen lateinischen Namen erhielt und schließlich unter der Bezeichnung Amisia – Ems – firmierte. Acht Jahre später fusionierte der Fußballclub Amisia mit dem MTV Meppen und der paramilitärischen Jugendgruppe Jungdeutschland Meppen zum TuS Meppen 1912. Die Ehe von Fußball- und Wehrsport mag aus heutiger Sicht absonderlich erscheinen; war jedoch im damaligen Kontext der Weimarer Republik nichts Außergewöhnliches. Im Jahr 1922 trat im Zuge der „Reinlichen Scheidung“ (Konflikt zwischen Turnern und Sportlern) der heutige SV Meppen ins Leben.

Doch „Leben“ hieß in diesem Falle zunächst einmal nur „Dasein“. Denn erst mit dem Aufstieg in die zweitklassige Regionalliga Nord im Jahr 1970 taten die Emsländer ihren ersten Schritt aus dem Schatten der großen niedersächsischen Fußballklubs. Das erste Gastspiel des SVM in der überregionalen Spielklasse war jedoch nur von kurzer Dauer. Planungsschwierigkeiten zu Beginn der Saison sowie sportlicher Misserfolg beendeten vorläufig alle weitergehenden Träume an der Ems. Zwar gelang 1972 der direkte Wiederaufstieg, doch die Aufnahme in die neue 2. Bundesliga wurde zwei Jahre später klar verpasst.

Erst unter dem damals 30-jährigen Trainer Hans-Dieter Schmidt, den es Anfang der 1990er Jahre auch zum VfB Lübeck verschlagen sollte, änderte sich ab 1978 die Vereinspolitik. Im Fokus standen nunmehr die Jugendförderung sowie die Professionalisierung des Emsländer Klubs, wobei das langfristige Ziel klar umrissen war: der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Obwohl Schmidt die Realisierung seines Traumes nicht mehr erleben sollte – 1983 hatte er bei der Eintracht Nordhorn angeheuert – trugen seine Strukturreformen ihre Früchte: 1987 stiegen die Meppener unter Trainer Rainer Persike (Foto) ins Unterhaus des deutschen Fußballs auf und ließen das Emsland, die „fußballerische Diaspora“, zu einer festen Adresse werden.

Die Grundvoraussetzungen für einen Verbleib in der zweithöchsten Spielklasse waren jedoch alles andere als optimal. Den finanziellen Imperativen gehorchend hatte der SV Meppen keine Profitruppe unter Vertrag, so dass die Emsländer Freizeitkicker bei den Buchmachern vor Beginn der Saison 1987/88 als Punktelieferanten gehandelt wurden. „Zieht den Meppenern die Gummistiefel aus!“, hieß es allenthalben in Anspielung auf den ländlichen Hintergrund der Norddeutschen.

Doch diese Prophezeiung erfüllte sich nicht. Mit beherzten Auftritten und getragen von einem euphorischen Publikum, das regelmäßig zu Tausenden ins Emslandstadion pilgerte, wurden die Meppener zum Dauergast in der zweiten Liga. „Ihr seid Deppen, spielt nächstes Jahr in Meppen”, hieß es in den Stadien der Bundesliga, wenn ein abstiegsbedrohter Verein zum Abschied geschmäht werden sollte. Ex-Nationaltorwart Toni Schumacher unterstrich den Eindruck, als er mit dem Satz „Ich spiel doch nicht in Meppen“ eine Vertragsverlängerung bei Bundesliga-Absteiger Schalke 04 ausschloss. Meppen, so lautete die wenig subtile Botschaft, bedeutete Provinzialität und fußballerische Zweitklassigkeit. Gleichwohl verbanden sich mit diesen Attributen auch zwei Tugenden, die im Bezahlfußball heutzutage manches Mal schmerzlich vermisst werden: Bescheidenheit und echte Leidenschaft.

Beide Elemente sorgten dafür, dass den SVM lange Zeit eine Aura der Bodenständigkeit umgab, die die fußballerische Vertretung des Emslandes schließlich zu einem überregionalen Kultverein avancieren ließ. Eine ganze Generation einheimischer Akteure – u.a. Spielmacher Josef Menke, die Stürmer Martin van der Pütten und Robert Thoben oder Defensivakteure wie Bernd Deters (Vater des heutigen VfB-Spielers) und Eckhard Vorholt, die den Aufstieg und die Etablierung im Profifußball als Stammkräfte mitmachten – prägte den SVM in dieser Zeit.

1995 hätten die Kultkicker mit dem Aufstieg in die Bundesliga das Establishment des deutschen Fußballs gehörig aufmischen können. Drei Spieltage vor Saisonende rangierten die Meppener auf dem dritten Platz, ehe drei Niederlagen in Folge den großen Traum platzen ließen.

Der Glanz der Bundesliga blieb den Emsländern damit verwehrt. Nichtsdestotrotz konnte der Provinzclub auch so für sich Werbung machen, wobei der DFB-Pokal als Bühne genutzt wurde. Insbesondere die Pokalsaison 1996/97 rückte den SV Meppen in das bundesdeutsche Scheinwerferlicht, nachdem der damalige Zweitligist die höherklassige Eintracht Frankfurt mit 6:1 aus dem Stadion gefegt hatte.

Zwei Jahre später jedoch endete das Emsländer Zweitligamärchen. Als Tabellenletzter musste der SVM den Gang in die Drittklassigkeit antreten, wobei die Vereinsverantwortlichen den sportlichen Abstieg lediglich als Intermezzo verstanden wissen wollten. Dass hierbei keine Politik des Augenmaßes betrieben wurde, führte schließlich nicht nur zu einem Scheitern des Unternehmens „Wiederaufstieg“, sondern auch zu einer hohen Verschuldung. Im Jahr 2003 musste ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden und auch sportlich nahm sich die Gesamtlage nicht rosig aus.

Mit Unterstützung aus der lokalen Wirtschaft wurde der SVM in den Folgejahren wieder solvent und wettbewerbsfähig. Nach drei Jahren Oberligazugehörigkeit stiegen die Meppener schließlich im Jahre 2011 zunächst wieder in die Regionalliga Nord auf. 2017 dann gelang in einer dramatischen Relegation gegen den SV Waldhof Mannheim der Aufstieg in die 3. Liga.

Text: David Korehnke

Bild: imago images

Von Published On: 17. Dezember 2020Kategorien: 1. Herren
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