Die ersten Monate für Nicklas Loose als Trainer unserer grün-weißen U19 waren ereignisreich. Zunächst war das Training im Sommer nur eingeschränkt möglich, erst Ende September startetet die Saison in der Regionalliga Nord. Drei Partien konnten unsere A-Junioren in der Liga seither absolvieren, ehe die Corona-Pandemie den Trainings- und Spielbetrieb seit Anfang November erneut zum Erliegen brachte. Im Interview verrät Loose, wie er die aktuelle Situation und den bisherigen Saisonverlauf einschätzt, spricht über Verbesserungsbedarf im deutschen Nachwuchsfußball und gibt Einblicke in die digitalen Trainingsmöglichkeiten.

 

Hallo Nicklas, Du bist seit dem vergangenen Sommer beim VfB und hast als Trainer die grün-weiße U19 übernommen. Nun verursacht die Corona-Pandemie eine weitere Spiel- und Trainingspause. Wie bewertest Du die aktuelle Lage der A-Junioren?

Es gibt derzeit Wichtigeres auf der Welt, als auf Krampf irgendwelche Spiele durchzuführen, nämlich die Gesundheit. Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Wir sehen bei uns in der Mannschaft, wie nah dieses Thema ist und hatten schon einige Berührungspunkte mit Corona. Wir versuchen dennoch, die aktuelle Zeit bestmöglich zu nutzen und haben ein Konzept entwickelt, um individuell an Defiziten in bestimmten Bereich, auch über die Entfernungen arbeiten zu können.

 

Wie haltet Ihr während der Zwangspause Kontakt zu den Spielern? Gibt es individuelle Trainingspläne oder gemeinsame digitale Fitness-Einheiten?

Mein Co-Trainer und ich haben durch die gängigen Möglichkeiten fast täglich Kontakt zu den Spielern. Es gibt zweimal in der Woche ein Cyber-Training im athletischen Bereich unter der Leitung unseres Athletiktrainers. Darüber hinaus gibt es einen Sprint- sowie einen Ausdauerplan. Des Weiteren gibt es kleinere Wettbewerbe, in denen Punkte vergeben werden. Ebenfalls gibt es noch theoretische Cyber-Meetings, in denen wir gemeinsam Spielszenen analysieren oder ein Gast ein paar Einblicke zu bestimmten Themenbereichen gibt.

 

In der Regionalliga Nord steht Ihr mit einem Sieg aus drei Spielen derzeit in der unteren Tabellenhälfte. Wie zufrieden bist Du mit dem bisherigen Saisonverlauf?

Wir haben uns in einer langen Vorbereitung trotz langer Corona-Beschränkungen stetig nach vorn entwickelt. Wir haben unsere gemeinsamen Spielprinzipien und Spielmuster erarbeitet und verfeinert. Dies wurde auch mit guten Resultaten und tollen Spielen wie z.B. der verdienten 65-minütigen 1:0-Führung gegen Werder Bremen gezeigt. Den Schwung konnten wir auch mit in die Saison nehmen und gewannen in Norderstedt, mussten allerdings mit einigen Verletzungen die Rückreise antreten. Dann kam das zweite Spiel und zugleich unser erstes Heimspiel, allerdings in Kronsforde, gegen den JFV Calenberger Land. Der Gegner hat uns in den ersten 30 Minuten überrollt.

 

Welche Gründe gab es dafür?

Wir haben uns nicht gewehrt und waren auf einmal völlig verunsichert. Wir haben in unserer Analyse mehrere Gründe dafür ausfindig machen können. Im dritten Spiel ging es gegen Oberneuland, die bis dato noch kein Spiel in der Liga gemacht haben. Leider verschlafen wir wieder die ersten 30 Minuten. Ein von uns verwandelter Elfmeter wurde zurückgenommen, weil ein Mitspieler zu früh in den Strafraum lief. Richtig wäre gewesen, den Elfmeter zu wiederholen. Der Schiedsrichter entschied allerdings zu Unrecht auf indirekten Freistoß für Oberneuland. Damit wurde uns leider vor der Pause der psychologisch wichtige Anschlusstreffer verwehrt.

 

Konntet Ihr aus diesen Misserfolgen trotzdem etwas mitnehmen?

Was dennoch extrem positiv ist, dass wir trotz der Rückschläge in den beiden ersten 30 Minuten gegen den JFV Calenberger Land und gegen Oberneuland zwei sensationelle zweite Halbzeiten hingelegt haben. Gegen den JFV Calenberger Land kommen wir nach 0:5 auf 3:5 ran und kassieren dann in der Nachspielzeit, da wir hinten alles aufgemacht haben, noch das 3:6 und 3:7. Gegen Oberneuland gelangen uns zwar keine Tore mehr und die zweite Halbzeit endete torlos, dennoch haben wir Moral bewiesen und phasenweise richtig tollen Fußball mit mehreren hochkarätigen Chancen gespielt. Diese Moral nach Rückstand und die Art und Weise zu sehen, ist für uns im Trainerteam elementar wichtig. Die Schwachstellen haben wir analysiert und im Training sowie in Einzel-, Gruppen- und Mannschafts-Videoanalysen aufgearbeitet.

 

Stehen für Dich die Ergebnisse im Mittelpunkt oder die individuelle Entwicklung Deiner Spieler?

Die Entwicklung der Spieler steht für mich, bezogen auf den Nachwuchsbereich, mit aller Deutlichkeit über allem.

 

In letzter Zeit wurde viel über Veränderungen in der fußballerischen Nachwuchsausbildung diskutiert und u.a. eine Reform der Junioren-Bundesligen vorgestellt. Was hältst Du von diesen Plänen?

Solange nicht im Detail feststeht, wie die Reform aussehen wird, steht es mir nicht zu, mich darüber zu äußern, weil ich dafür zu weit weg bin. Dennoch kann ich sagen, dass ich die Grundidee aus den Medien, also den Ergebnisdruck wegzunehmen, verstehen kann. Viele junge Trainer in den höheren Mannschaften der Nachwuchsleistungszentren haben, seitdem Thomas Tuchel aus der U19 in Mainz als Cheftrainer befördert wurde, die Chance, ohne Ex-Profi gewesen zu sein, Profitrainer zu werden und im krassen Fall am Millionengeschäft Profifußball teilzuhaben. Früher waren diese Posten ausschließlich den Ex-Profis vorbestimmt. Viele Vereine schauen allerdings zu sehr auf die Ergebnisse und weniger auf die Trainerqualitäten. Das wissen die potenziellen Trainer, ergo schauen sie zu sehr darauf, dass die Ergebnisse passen, wodurch die Ausbildung der Spieler leidet. Ob durch die mögliche Reform die Ausbildung der Spieler erhöht wird, kann ich noch nicht beurteilen.

 

Wo gibt es Deiner Meinung nach den größten Verbesserungsbedarf im deutschen Jugendfußball?

Zum Verbesserungsbedarf im deutschen Jugendfußball könnte man vermutlich ein ganzes Buch schreiben. Deutschland ist ein sehr interessantes Fußballland. Auf der einen Seite sehr traditionsreich, auf der anderen Seite gehen wir jeden Trend immer etwas mit. In Deutschland werden viele taktische Sachen und viel Kurzpassspiel gemacht, aber es wird wenig Wert auf individuelle Dinge, „uncoole Dinge“ wie Beidfüßigkeit oder das Einlaufverhalten und Verteidigen bei Standardsituationen gelegt, was sich auffällig schlecht in den Profifußball mit reinzieht, weil es im Jugendbereich nicht trainiert wird. Ein weiteres Problem sind die Einflüsse von außen, die heutzutage viel größer als in der Vergangenheit sind, wo es nur Trainer und Familie gab. Heutzutage ist das Umfeld, was die Spieler betrifft, durch Berater, zusätzliche Trainer vom Berater, Sponsoren, Social Media etc. viel größer.

 

Welche Probleme siehst Du generell?

Ein großes Problem und enormes Verbesserungspotenzial sehe ich in der Überbetonung des Talents. Zu früh werden Spieler hochgejubelt, zu früh wird ein kommender Profi gesehen. Talent stellt einen nur in ein Fenster, aber dass erst Einstellung, Charakter, Durchhaltevermögen, Willenskraft einen durch diese Tür hindurchbringen, will heißen, dass man auch ein Talent dafür braucht, sein Talent zu nutzen und dass man ein Talent dafür braucht, Widerstände und Hindernisse zu überwinden, wird häufig vergessen. Wen man zerstören will, den macht man öffentlich zum Supertalent. Ebenfalls müssen wir meiner Meinung nach in Deutschland mehr Fokus auf die Wertevermittlung legen. In vielen Nachwuchsleistungszentren wird dem Spieler alles abgenommen. Die Spieler müssen sich um fast nichts mehr kümmern. Dankbarkeit, Demut und Bodenständigkeit müssen unbedingt vermittelt werden.

 

Was erhoffst Du Dir für die Zukunft und Fortsetzung der Saison?

Maximale Gesundheit aller Beteiligten.

Von Published On: 18. November 2020Kategorien: Hansekicker
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